Die Wetterprognose hat sich leider bewahrheitet. Während der Nacht ist einiges an Regen gefallen, heute morgen liegt tiefhängender Nebel über dem Tal. Wir wollten eigentlich früh los, warten aber nun doch erst mal ab, ob das Wetter hält. Heute steht eigentlich eins unserer Highlights auf dem Plan: Der Besuch des Kjerag.
Gegen halb zehn entschließen wir uns dann doch, die ca. 80km lange Strecke zu fahren. In den Koffern der XT finden Wanderstiefel, Jacken und die Fototasche Platz, Elisabeth übernimmt den Rucksack mit den Regenhosen und – ganz wichtig – Brotzeit und Getränken.
Vom Zeltplatz geht es runter an die Hauptstraße, dort biegen wir links ab auf die 9, um etwa 10km weiter bei Brokke auf eine kleine gelbe Straße abzubiegen, die uns über zwei Hochebenen an den Lysebotn Fjord führt. Als wir losfahren, zeigt das Thermometer 17 Grad, auf der ersten Vidda sind es nur mehr schattige 11 Grad. Was uns hier geboten wird, entschädigt aber dafür: Atemberaubende Panoramen der Fjells außenrum, dazwischen liegen viele Seen auf verschiedenen Ebenen, die ihr Wasser über Kaskaden-Treppen von einem See in den nächsten schicken. Die Straße ist sehr schmal, zwei Autos können sich hier nicht begegnen, dafür wurden immer mal wieder Ausweichstellen angelegt. Es ist Freitag, die ersten Norweger suchen ihre Hytter auf, die hier überall weit verstreut liegen. Mit der XT müssen wir die Ausweichstellen nicht benutzen, wenn Auto und Motorrad ganz rechts fahren, dann kommt man gut aneinander vorbei.
Immer wieder liegen Schafe an oder auf der Straße, manchmal laufen sie in Gruppen vor uns her. An einem Abzweig kommt ein Auto um die Kurve, ein Schaf steht quer auf der Fahrbahn und mach keine Anstalten, den Weg freizugeben. Selbst als der Fahrer hupt, zuckt das Tier nur kurz und wiederkäut genüsslich weiter. Erst als der Mann das Wollknäuel sachte mit der Stoßstange berührt, macht dieses dann doch Platz für das Auto und auch für uns.
Der Weg führt abwärts und kurz bevor wir die Talsohle erreichen, kommt uns eine Gruppe Radfahrer entgegen. Auch auf die nächsten Kilometer kommen immer wieder Gruppen von Radlern von vorne uns verfolgen zielstrebig ihr Ziel. Bei Adneram biegen wir links ab, um wenige hundert Meter später wieder rechts ab zufahren.
Auch hier wieder Gruppen von Radlern, für uns geht es bergauf, für die Pedalritter bergab, was auch einige Überholmanöver zur Folge hat, so dass ich mich vor allem in den Kurven stark konzentrieren muss. Ein Betonmischer-Sattelzug vor uns quält sich die Anhöhe hinauf, bei der ersten Ausweichstelle macht er uns Platz, ich hebe die Hand um danke zu sagen und er Antwortet mit der Lichthupe.
Weiter hinten steht ein weiterer Mischwagen an der rechten Seite, ein Bus daneben verhindert unser Weiterkommen. Davor steht eine Maschine, die eine Brüstungsmauer betoniert, diese wird von einem weiteren Betonmischer mit Material versorgt.
Elisabeth steigt ab, geht nach vorne und bittet den Fahrer, ein paar Meter nach vorne zu fahren, um uns durchzulassen. Erst deutet er nach vorne, dass er auch nicht weiter kann, dann bemerkt er den Helm und mich im Rückspiegel. Sofort setzt er den Bus zurück, wobei er vom Fahrer des Mischwagens eingewiesen wird und so können wir unsere Fahrt fortsetzen. Auch auf der anderen Seite des Baufahrzeugs befindet sich schon eine Schlange von Fahrzeugen, meist Wohnmobile mit deutschem Kennzeichen. Ein Zeichen dafür, dass wir bald da sind. Dass der Weg zunehmend bergab führt, ist ein weiteres Indiz und als die ersten Haarnadelkurven erreicht sind, weiß ich, dass wir dem Ziel nahe sind. Vor ziemlich genau 28 Jahren war ich schon mal da.
Nach den ersten beiden Kehren erreichen wir das ‚Adlernest‘, von wo aus die Wanderung zum Kjerag beginnt. Wir fahren aber erst mal weiter und genießen die 27 Haarnadelkurven, die uns 900 Höhenmeter nach unten bringen bis zum Ende des Lysebotn-Fjordes. Bevor wir die Talsohle erreichen, führt die Straße noch durch einen 1,2km langen, schneckenförmig angelegten Tunnel,
Der Lysefjord zählt zu den schönsten und zugleich auch zu den eigentümlichsten Fjorden Norwegens. Im Gegensatz z.B. zum Hardangerfjord lässt er jeden Liebreiz vermissen. Heute haben wir freie Sicht auf den Fjord, eine kleine Schlange von Fahrzeugen wartet am Anleger auf die Fähre, die gerade am Horizont auftaucht. Während wir die XT abstellen kommt gleich eine Gruppe interessierter auf uns zu und befragt mich nach meinem Motorrad. Die XT500 kennen sie, dass sich meine ein Stück weit von der unterscheidet, kann ich schnell klar machen. Ganz vorne in der Warteschlange steht eine junge Frau mit einer SR500, die ja einiges mehr mit dem Klassiker XT500 gemeinsam hat, das scheint aber weniger interessant zu sein. Als die Fähre näher kommt, beschließen wir loszufahren, um dem Tumult beim Entladen aus dem Weg zu gehen. Im Tunnel begegnet uns der Bus, der uns vorhin freundlich vorbeigelassen hat und auch diesmal macht er uns Platz, indem er elegant eine Ausweichstelle ausfährt.
Oben angelangt suchen wir uns einen Parkplatz, die Motorradjacken und -handschuhe tauschen ihren Platz in den Koffern mit der Kleidung, die wir für die Wanderung vorgesehen haben. Ich entscheide mich dafür, die Motorradstiefel anzubehalten, denn der Fels scheint an manchen Stellen feucht zu sein, die Stiefel sind hier rutschfester als die Wanderschuhe.
Die Tour beginnt mit einem Anstieg von ca. 45 Grad über blanken Fels. Um ein wenig Halt zu bieten, ist eine Kette gespannt. Elisabeth hangelt sich daran hoch, rutscht aber bald aus und landet auf dem Hintern. Weiter oben fehlt ein Stück der Kette, was die Unsicherheit auf dem glatten Stein erhöht. Als der Blick bis hinunter auf den Fjord frei wird, kapituliert sie vor ihrer Höhenangst und entscheidet sich dafür, zurück zu gehen. Mir will sie den Spaß nicht nehmen und schickt mich weiter, sie wird in der Zwischenzeit im Adlernest auf mich warten.
Während Elisabeth den Weg langsam wieder hinunter klettern, steige ich hoch und stelle bald fest, dass der Weg an der Kette entlang nicht unbedingt der einfachste ist. So suche ich mir meine Linie abseits der Kette, auch wenn ich dabei mehr Weg zurücklegen muss. Oben angelangt, sehe ich Elisabeth auch bereits unten am Parkplatz. Wir winken uns nochmal zu, dann gehe ich weiter. Der Berg hat die übliche Fjell-Form, ist also oben abgerundet – während der Eiszeit waren die Berge 900m und mehr von Eis bedeckt, bei der Gletscherwanderung wurden die Spitzen abgebrochen und die Berge rund geschliffen. Viele kleine und große Felsbrocken liegen verstreut auf deren Oberfläche, die Reste der abgebrochenen Spitzen. Als ich den höchsten Punkt überquert habe, geht es wieder steil bergab. Dann führt der Weg durch ein Tal, bei den moorigen Passagen erleichtern Stege aus Eisenbahnschwellen das Vorwärtskommen, doch schon bald geht es wieder steil bergan. Auch hier sind es gute 45 Grad Steigung, im unteren Teil kommt viel Kletterei dazu, was die Oberschenkelmuskulatur ordentlich belastet. Oben angekommen erreiche ich wiederum ein Fjell, während meine Betriebstemperatur auf gefühlte 130 Grad angestiegen ist, reißt die Wolkendecke auf und die Sonne zeigt, was sie drauf hat. Die Jacke wandert in den Rucksack und ich über den Fels, es kommt mir vor, als sei ich ewig unterwegs, bevor sich der Pfad wieder nach unten neigt. Auch hier gilt es wieder, im unteren Teil über hohe Felstreppen hinab zu klettern, dann überquert man einen Bach (der wenig weiter vorne als Wasserfall in die Tiefe stürzt) über ein paar Kieselsteine bevor es – mal wieder – steil bergan geht. Langsam merke ich, wie meine Kondition zu schwinden beginnt. Jeder Schritt fällt schwer, jeder Aufstieg will gut überlegt sein. Alle paar Schritte halte ich kurz inne, um Luft zu holen, bevor ich die nächsten Höhenmeter in Angriff nehme.
Dann ist auch dieser Anstieg geschafft, es geht über flachen Fels leicht bergab. Die Route ist mit rot auf den Fels gemalten ‚T‘ markiert, das Zeil aber noch lange nicht in Sicht. Mir kommt es vor, als sei ich schon ewig unterwegs, als ich eine aufgeschichtete Steinsäule erreiche, an deren oberen Ende Wegweiser angebracht sind.
Bisher hat mich niemand auf der Strecke überholt, während ich an einigen Grüppchen und Pärchen vorbei geklettert bin. Hier kommt ein drahtiger Mann und zieht mit langen Schritten an mir vorbei, zielstrebig dahin, wo ich den Kjerag vermute. Ich versuche Schritt zu halten, muss aber feststellen, dass ich dafür schon viel zu kaputt bin. Ich lasse ihn ziehen und falle zurück in meinen Schritt. Nebenher fängt es ganz leicht an zu nieseln, der warme Sonnenschein ist einer kühlen Brise gewichen, die über die Hochebene zieht. Nicht weit entfernt kann ich in den Nischen der Nordhänge noch ein paar kleine Schneefelder sehen.
In Gedanken an meine erste Tour hierher vor 28 Jahren versunken, erreiche ich dann den Canyon mit dem Kjerag. Von oben betrachtet schaut er sehr mickrig aus, während er in meiner Erinnerung sehr imposant daherkam. Dafür war der Weg bei weitem anspruchsvoller, als der, der in meinem Gedächtnis verankert war. Knapp zwei Stunden habe ich für den Aufstieg benötigt.
Einen Moment lang schaue ich dem Treiben unten zu. Auf der Kanzel, einer quadratisch hinausragenden Fläche, die senkrecht über 600m in den Fjord abfällt, sitzen zwei junge Frauen am Rand und lassen die Beine über dem Abgrund baumeln. Am Kjerag selbst wird – wie immer – emsig fotografiert.
Der Kjerag ist ein übergroßer Kieselstein mit etwa 2m Breite und 4m Höhe, der in eine Felsspalte eingeklemmt ist. Die Felsspalte bildet einen Canyon, der einen Fluss beherbergt, der sich unter dem Kjerag in die Tiefe stürzt.
Eine nette junge Frau hat mich fotografiert, hier ist eigentlich jeder jedem behilflich, sei es beim gegenseitigen Fotografieren oder bei der ‚Besteigung‘ des Kjerag. Jeder bekommt Applaus, wenn er den Kjerag bezwungen hat und wenn jemanden dann doch der Mut verlässt, dann wird er trotzdem nicht ausgelacht.
Egal ob alt oder jung, ob aus Japan, Russland oder sonst woher, hier sind irgendwie alle gleich, alle verstehen sich – das ist für mich der eigentliche Zauber dieses Ortes.
Ein kurzes Telefonat mit Elisabeth, dass ich oben bin (natürlich nicht vom Stein aus) hilft gegen die Sorge um mein Wohlergehen, Eine kurze Pause, ein Happen zu essen und flüssiges, um den Wasserhaushalt des Körpers wieder auszugleichen, dann kann ich mich auf den Rückweg machen. Vorher suche ich noch einen Stein, der dem Kjerag ähnlich sieht, als kleines Mitbringsel für Elisabeth – als kleine Entschädigung, dass sie – vernünftigerweise – auf den Aufstieg verzichtet hat.
Als ich mich auf den Rückweg mache, beginnt es wieder zu regnen, diesmal stärker als vorher. Ein kalter Wind bläst mir ins Gesicht, so ziehe ich die Kapuze des Anoraks über den Kopf und hole die Motorrad-Regenhose aus dem Rucksack. So geschützt mache ich mich auf den Abstieg.
Während diesmal deutlich mehr Leute auf dem gleichen Weg sind, kommen uns noch immer Menschen entgegen, ich überlege mir, ob diese sich der Risiken bewusst sind. Manch einer hat Slipper oder leichte Stoffschuhe an, durchgeweicht vom Regen und Matsch des Anstiegs. Die Warnungen am Einstieg nehmen viele scheinbar nicht ernst.
Beim ersten Abstieg sehe ich dann auch die ersten mit der Physik und dem leichten Schuhwerk kämpfen. Der nun sehr nasse Fels ist schon mit festem Schuhwerk eine Herausforderung. Elisabeth erzählt mir später, dass unten am Einstieg massenweise Leute den Berg heruntergepurzelt sind, ausgerutscht am nassen, blanken Fels.
Während ich die Abstiege recht gute meistere, indem ich meine Linie oft weitab der Ketten wähle, zehren die Aufstiege massiv an meiner Kraft. Stiegen von mehr als einen halben Meter kosten viel Anstrengung, die Oberschenkelmuskulatur schmerzt. Bei den Abstiegen haben sich die Motorradstiefel bestens bewährt, kaum Rutschen auf dem Fels, wenn man diesen mit der Zehenspitze nach unten und in kleinen Schritten begeht. Das belastet allerdings ordentlich die Knie, so brauche ich am Rückweg einige kurze Pausen um Bänder und Sehnen zu entlasten.
Als ich das Adlernest sehen kann, gebe ich Elisabeth wieder kurz Bescheid, bevor ich mich auf den letzten und anstrengendsten Abstieg mache. Elisabeth hat in der Zwischenzeit Bekanntschaft mit einer deutschen Reisegruppe gemacht und kann das Ende meiner Tortour mit einem geliehenen Fernglas beobachten.
Unten angekommen, empfängt sie mich kopfschüttelnd – ich muss wohl eine traurige Figur abgegeben haben, mit meinen schmerzenden Knien und den wackeligen Beinen, von oben bis unten tropfnass.
Im Adlernest, einem an die Hangkante gebauten Panoramarestaurant kehren die Lebensgeister bei einem heißen Tee und einem Blaubeermuffin zurück. Elisabeth fragt, ob wir nicht hier übernachten sollen, ich entscheide mich jedoch dafür, die 80km zurück zu fahren.
Gegen 18:00 Uhr machen wir uns auf den Weg. Es regnet fast die ganze Strecke, da ich das Visier beim Fahren immer ein Stück offen habe, ist es bald außen und innen voller Tropfen, die ich von Zeit zu Zeit mit dem Handschuh entferne.
Wir nehmen die gleiche Route wie bei der Hinfahrt, diesmal sind wir jedoch merklich langsamer, eine Menge Gegenverkehr auf den schmalen Straßen verlangen deutlich mehr Konzentration.
Zu Hause gibt es trockene Sachen, einen heißen Tee und ein leckeres Abendessen, was kann uns Motorradfahrer ein wenig Regen anhaben.Die norwegische Regentaufe für Elisabeth ist recht human ausgefallen, wenn ich an meine Regenerfahrungen in diesem Land zurückdenke.
An den Regentroll da oben: Du hast gesehen, dass wir uns nicht einschüchtern lassen, deshalb kannst Du den Hahn ruhig zu lassen 😉
20 Aug 2010
Freitag, 20.08.2010 Auf zum Kjerag
Die Wetterprognose hat sich leider bewahrheitet. Während der Nacht ist einiges an Regen gefallen, heute morgen liegt tiefhängender Nebel über dem Tal. Wir wollten eigentlich früh los, warten aber nun doch erst mal ab, ob das Wetter hält. Heute steht eigentlich eins unserer Highlights auf dem Plan: Der Besuch des Kjerag.
Gegen halb zehn entschließen wir uns dann doch, die ca. 80km lange Strecke zu fahren. In den Koffern der XT finden Wanderstiefel, Jacken und die Fototasche Platz, Elisabeth übernimmt den Rucksack mit den Regenhosen und – ganz wichtig – Brotzeit und Getränken.
Vom Zeltplatz geht es runter an die Hauptstraße, dort biegen wir links ab auf die 9, um etwa 10km weiter bei Brokke auf eine kleine gelbe Straße abzubiegen, die uns über zwei Hochebenen an den Lysebotn Fjord führt. Als wir losfahren, zeigt das Thermometer 17 Grad, auf der ersten Vidda sind es nur mehr schattige 11 Grad. Was uns hier geboten wird, entschädigt aber dafür: Atemberaubende Panoramen der Fjells außenrum, dazwischen liegen viele Seen auf verschiedenen Ebenen, die ihr Wasser über Kaskaden-Treppen von einem See in den nächsten schicken. Die Straße ist sehr schmal, zwei Autos können sich hier nicht begegnen, dafür wurden immer mal wieder Ausweichstellen angelegt. Es ist Freitag, die ersten Norweger suchen ihre Hytter auf, die hier überall weit verstreut liegen. Mit der XT müssen wir die Ausweichstellen nicht benutzen, wenn Auto und Motorrad ganz rechts fahren, dann kommt man gut aneinander vorbei.
Immer wieder liegen Schafe an oder auf der Straße, manchmal laufen sie in Gruppen vor uns her. An einem Abzweig kommt ein Auto um die Kurve, ein Schaf steht quer auf der Fahrbahn und mach keine Anstalten, den Weg freizugeben. Selbst als der Fahrer hupt, zuckt das Tier nur kurz und wiederkäut genüsslich weiter. Erst als der Mann das Wollknäuel sachte mit der Stoßstange berührt, macht dieses dann doch Platz für das Auto und auch für uns.
Der Weg führt abwärts und kurz bevor wir die Talsohle erreichen, kommt uns eine Gruppe Radfahrer entgegen. Auch auf die nächsten Kilometer kommen immer wieder Gruppen von Radlern von vorne uns verfolgen zielstrebig ihr Ziel. Bei Adneram biegen wir links ab, um wenige hundert Meter später wieder rechts ab zufahren.
Auch hier wieder Gruppen von Radlern, für uns geht es bergauf, für die Pedalritter bergab, was auch einige Überholmanöver zur Folge hat, so dass ich mich vor allem in den Kurven stark konzentrieren muss. Ein Betonmischer-Sattelzug vor uns quält sich die Anhöhe hinauf, bei der ersten Ausweichstelle macht er uns Platz, ich hebe die Hand um danke zu sagen und er Antwortet mit der Lichthupe.
Weiter hinten steht ein weiterer Mischwagen an der rechten Seite, ein Bus daneben verhindert unser Weiterkommen. Davor steht eine Maschine, die eine Brüstungsmauer betoniert, diese wird von einem weiteren Betonmischer mit Material versorgt.
Elisabeth steigt ab, geht nach vorne und bittet den Fahrer, ein paar Meter nach vorne zu fahren, um uns durchzulassen. Erst deutet er nach vorne, dass er auch nicht weiter kann, dann bemerkt er den Helm und mich im Rückspiegel. Sofort setzt er den Bus zurück, wobei er vom Fahrer des Mischwagens eingewiesen wird und so können wir unsere Fahrt fortsetzen. Auch auf der anderen Seite des Baufahrzeugs befindet sich schon eine Schlange von Fahrzeugen, meist Wohnmobile mit deutschem Kennzeichen. Ein Zeichen dafür, dass wir bald da sind. Dass der Weg zunehmend bergab führt, ist ein weiteres Indiz und als die ersten Haarnadelkurven erreicht sind, weiß ich, dass wir dem Ziel nahe sind. Vor ziemlich genau 28 Jahren war ich schon mal da.
Nach den ersten beiden Kehren erreichen wir das ‚Adlernest‘, von wo aus die Wanderung zum Kjerag beginnt. Wir fahren aber erst mal weiter und genießen die 27 Haarnadelkurven, die uns 900 Höhenmeter nach unten bringen bis zum Ende des Lysebotn-Fjordes. Bevor wir die Talsohle erreichen, führt die Straße noch durch einen 1,2km langen, schneckenförmig angelegten Tunnel,
Der Lysefjord zählt zu den schönsten und zugleich auch zu den eigentümlichsten Fjorden Norwegens. Im Gegensatz z.B. zum Hardangerfjord lässt er jeden Liebreiz vermissen. Heute haben wir freie Sicht auf den Fjord, eine kleine Schlange von Fahrzeugen wartet am Anleger auf die Fähre, die gerade am Horizont auftaucht. Während wir die XT abstellen kommt gleich eine Gruppe interessierter auf uns zu und befragt mich nach meinem Motorrad. Die XT500 kennen sie, dass sich meine ein Stück weit von der unterscheidet, kann ich schnell klar machen. Ganz vorne in der Warteschlange steht eine junge Frau mit einer SR500, die ja einiges mehr mit dem Klassiker XT500 gemeinsam hat, das scheint aber weniger interessant zu sein. Als die Fähre näher kommt, beschließen wir loszufahren, um dem Tumult beim Entladen aus dem Weg zu gehen. Im Tunnel begegnet uns der Bus, der uns vorhin freundlich vorbeigelassen hat und auch diesmal macht er uns Platz, indem er elegant eine Ausweichstelle ausfährt.
Oben angelangt suchen wir uns einen Parkplatz, die Motorradjacken und -handschuhe tauschen ihren Platz in den Koffern mit der Kleidung, die wir für die Wanderung vorgesehen haben. Ich entscheide mich dafür, die Motorradstiefel anzubehalten, denn der Fels scheint an manchen Stellen feucht zu sein, die Stiefel sind hier rutschfester als die Wanderschuhe.
Die Tour beginnt mit einem Anstieg von ca. 45 Grad über blanken Fels. Um ein wenig Halt zu bieten, ist eine Kette gespannt. Elisabeth hangelt sich daran hoch, rutscht aber bald aus und landet auf dem Hintern. Weiter oben fehlt ein Stück der Kette, was die Unsicherheit auf dem glatten Stein erhöht. Als der Blick bis hinunter auf den Fjord frei wird, kapituliert sie vor ihrer Höhenangst und entscheidet sich dafür, zurück zu gehen. Mir will sie den Spaß nicht nehmen und schickt mich weiter, sie wird in der Zwischenzeit im Adlernest auf mich warten.
Während Elisabeth den Weg langsam wieder hinunter klettern, steige ich hoch und stelle bald fest, dass der Weg an der Kette entlang nicht unbedingt der einfachste ist. So suche ich mir meine Linie abseits der Kette, auch wenn ich dabei mehr Weg zurücklegen muss. Oben angelangt, sehe ich Elisabeth auch bereits unten am Parkplatz. Wir winken uns nochmal zu, dann gehe ich weiter. Der Berg hat die übliche Fjell-Form, ist also oben abgerundet – während der Eiszeit waren die Berge 900m und mehr von Eis bedeckt, bei der Gletscherwanderung wurden die Spitzen abgebrochen und die Berge rund geschliffen. Viele kleine und große Felsbrocken liegen verstreut auf deren Oberfläche, die Reste der abgebrochenen Spitzen. Als ich den höchsten Punkt überquert habe, geht es wieder steil bergab. Dann führt der Weg durch ein Tal, bei den moorigen Passagen erleichtern Stege aus Eisenbahnschwellen das Vorwärtskommen, doch schon bald geht es wieder steil bergan. Auch hier sind es gute 45 Grad Steigung, im unteren Teil kommt viel Kletterei dazu, was die Oberschenkelmuskulatur ordentlich belastet. Oben angekommen erreiche ich wiederum ein Fjell, während meine Betriebstemperatur auf gefühlte 130 Grad angestiegen ist, reißt die Wolkendecke auf und die Sonne zeigt, was sie drauf hat. Die Jacke wandert in den Rucksack und ich über den Fels, es kommt mir vor, als sei ich ewig unterwegs, bevor sich der Pfad wieder nach unten neigt. Auch hier gilt es wieder, im unteren Teil über hohe Felstreppen hinab zu klettern, dann überquert man einen Bach (der wenig weiter vorne als Wasserfall in die Tiefe stürzt) über ein paar Kieselsteine bevor es – mal wieder – steil bergan geht. Langsam merke ich, wie meine Kondition zu schwinden beginnt. Jeder Schritt fällt schwer, jeder Aufstieg will gut überlegt sein. Alle paar Schritte halte ich kurz inne, um Luft zu holen, bevor ich die nächsten Höhenmeter in Angriff nehme.
Dann ist auch dieser Anstieg geschafft, es geht über flachen Fels leicht bergab. Die Route ist mit rot auf den Fels gemalten ‚T‘ markiert, das Zeil aber noch lange nicht in Sicht. Mir kommt es vor, als sei ich schon ewig unterwegs, als ich eine aufgeschichtete Steinsäule erreiche, an deren oberen Ende Wegweiser angebracht sind.
Bisher hat mich niemand auf der Strecke überholt, während ich an einigen Grüppchen und Pärchen vorbei geklettert bin. Hier kommt ein drahtiger Mann und zieht mit langen Schritten an mir vorbei, zielstrebig dahin, wo ich den Kjerag vermute. Ich versuche Schritt zu halten, muss aber feststellen, dass ich dafür schon viel zu kaputt bin. Ich lasse ihn ziehen und falle zurück in meinen Schritt. Nebenher fängt es ganz leicht an zu nieseln, der warme Sonnenschein ist einer kühlen Brise gewichen, die über die Hochebene zieht. Nicht weit entfernt kann ich in den Nischen der Nordhänge noch ein paar kleine Schneefelder sehen.
In Gedanken an meine erste Tour hierher vor 28 Jahren versunken, erreiche ich dann den Canyon mit dem Kjerag. Von oben betrachtet schaut er sehr mickrig aus, während er in meiner Erinnerung sehr imposant daherkam. Dafür war der Weg bei weitem anspruchsvoller, als der, der in meinem Gedächtnis verankert war. Knapp zwei Stunden habe ich für den Aufstieg benötigt.
Einen Moment lang schaue ich dem Treiben unten zu. Auf der Kanzel, einer quadratisch hinausragenden Fläche, die senkrecht über 600m in den Fjord abfällt, sitzen zwei junge Frauen am Rand und lassen die Beine über dem Abgrund baumeln. Am Kjerag selbst wird – wie immer – emsig fotografiert.
Der Kjerag ist ein übergroßer Kieselstein mit etwa 2m Breite und 4m Höhe, der in eine Felsspalte eingeklemmt ist. Die Felsspalte bildet einen Canyon, der einen Fluss beherbergt, der sich unter dem Kjerag in die Tiefe stürzt.
Eine nette junge Frau hat mich fotografiert, hier ist eigentlich jeder jedem behilflich, sei es beim gegenseitigen Fotografieren oder bei der ‚Besteigung‘ des Kjerag. Jeder bekommt Applaus, wenn er den Kjerag bezwungen hat und wenn jemanden dann doch der Mut verlässt, dann wird er trotzdem nicht ausgelacht.
Egal ob alt oder jung, ob aus Japan, Russland oder sonst woher, hier sind irgendwie alle gleich, alle verstehen sich – das ist für mich der eigentliche Zauber dieses Ortes.
Ein kurzes Telefonat mit Elisabeth, dass ich oben bin (natürlich nicht vom Stein aus) hilft gegen die Sorge um mein Wohlergehen, Eine kurze Pause, ein Happen zu essen und flüssiges, um den Wasserhaushalt des Körpers wieder auszugleichen, dann kann ich mich auf den Rückweg machen. Vorher suche ich noch einen Stein, der dem Kjerag ähnlich sieht, als kleines Mitbringsel für Elisabeth – als kleine Entschädigung, dass sie – vernünftigerweise – auf den Aufstieg verzichtet hat.
Als ich mich auf den Rückweg mache, beginnt es wieder zu regnen, diesmal stärker als vorher. Ein kalter Wind bläst mir ins Gesicht, so ziehe ich die Kapuze des Anoraks über den Kopf und hole die Motorrad-Regenhose aus dem Rucksack. So geschützt mache ich mich auf den Abstieg.
Während diesmal deutlich mehr Leute auf dem gleichen Weg sind, kommen uns noch immer Menschen entgegen, ich überlege mir, ob diese sich der Risiken bewusst sind. Manch einer hat Slipper oder leichte Stoffschuhe an, durchgeweicht vom Regen und Matsch des Anstiegs. Die Warnungen am Einstieg nehmen viele scheinbar nicht ernst.
Beim ersten Abstieg sehe ich dann auch die ersten mit der Physik und dem leichten Schuhwerk kämpfen. Der nun sehr nasse Fels ist schon mit festem Schuhwerk eine Herausforderung. Elisabeth erzählt mir später, dass unten am Einstieg massenweise Leute den Berg heruntergepurzelt sind, ausgerutscht am nassen, blanken Fels.
Während ich die Abstiege recht gute meistere, indem ich meine Linie oft weitab der Ketten wähle, zehren die Aufstiege massiv an meiner Kraft. Stiegen von mehr als einen halben Meter kosten viel Anstrengung, die Oberschenkelmuskulatur schmerzt. Bei den Abstiegen haben sich die Motorradstiefel bestens bewährt, kaum Rutschen auf dem Fels, wenn man diesen mit der Zehenspitze nach unten und in kleinen Schritten begeht. Das belastet allerdings ordentlich die Knie, so brauche ich am Rückweg einige kurze Pausen um Bänder und Sehnen zu entlasten.
Als ich das Adlernest sehen kann, gebe ich Elisabeth wieder kurz Bescheid, bevor ich mich auf den letzten und anstrengendsten Abstieg mache. Elisabeth hat in der Zwischenzeit Bekanntschaft mit einer deutschen Reisegruppe gemacht und kann das Ende meiner Tortour mit einem geliehenen Fernglas beobachten.
Unten angekommen, empfängt sie mich kopfschüttelnd – ich muss wohl eine traurige Figur abgegeben haben, mit meinen schmerzenden Knien und den wackeligen Beinen, von oben bis unten tropfnass.
Im Adlernest, einem an die Hangkante gebauten Panoramarestaurant kehren die Lebensgeister bei einem heißen Tee und einem Blaubeermuffin zurück. Elisabeth fragt, ob wir nicht hier übernachten sollen, ich entscheide mich jedoch dafür, die 80km zurück zu fahren.
Gegen 18:00 Uhr machen wir uns auf den Weg. Es regnet fast die ganze Strecke, da ich das Visier beim Fahren immer ein Stück offen habe, ist es bald außen und innen voller Tropfen, die ich von Zeit zu Zeit mit dem Handschuh entferne.
Wir nehmen die gleiche Route wie bei der Hinfahrt, diesmal sind wir jedoch merklich langsamer, eine Menge Gegenverkehr auf den schmalen Straßen verlangen deutlich mehr Konzentration.
Zu Hause gibt es trockene Sachen, einen heißen Tee und ein leckeres Abendessen, was kann uns Motorradfahrer ein wenig Regen anhaben.Die norwegische Regentaufe für Elisabeth ist recht human ausgefallen, wenn ich an meine Regenerfahrungen in diesem Land zurückdenke.
An den Regentroll da oben: Du hast gesehen, dass wir uns nicht einschüchtern lassen, deshalb kannst Du den Hahn ruhig zu lassen 😉