Donnerstag, 17.09.2009 Preikestolen

Als uns der Wecker aus den Träumen reißt, ist es draußen noch dunkel. Während das Teewasser kocht, erleben wir einen malerischen Sonnenaufgang über dem Lysefjord. Nach einem ausgiebigen Frühstück werden Brote geschmiert, die Regenhosen in den Rucksack gepackt und die Wasserflaschen gefüllt.

Zum Parkplatz an der Preikestolenhytta sind es knapp 15km, wir sind die ersten dort. Während wir ausladen, gesellt sich noch ein alter Volvo mit polnischem Kennzeichen dazu, aus dem ein paar junge Männer aussteigen.

Preikestolen

Der Preikestolen oder Prekestolen (norw. für Kanzel oder wörtlich Predigtstuhl) ist eine natürliche Felsplattform (Felskanzel) in Ryfylke in der norwegischen Provinz (Fylke) Rogaland und ein Tourismusziel mit weitem Blick über den Lysefjord und angrenzende Berge.

Die Größe des Felsplateaus beträgt zirka 25 mal 25 Meter. Die Fjellkante fällt 604 Meter senkrecht in den fast 40 Kilometer langen Fjord ab. Die Kanzel wird jährlich von etwa 200.000 Menschen erwandert.
(Quelle: Wikipedia)

Um 07:45 Uhr laufen wir los. Ich habe die Hoffnung, ass wir als erste oben sein können. Ca. 4km sind es nur, aber die haben es in sich! Zuerst geht es einen bearbeiteten Schotterweg hoch. Ich denke bei mir, wenn man hier nichts gemacht hätte, wäre es einfacher. Vielleicht sollen dadurch aber auch die Ballerina- und FlipFlop-Träger(Innen) ausgebremst werden, überlege ich mir weiter.
Ich schleppe unseren schweren Rucksack. Schon im oberen Viertel der ersten Steigung spüre ich ein leichtes Brennen in den Muskeln. Das war bei meinem ersten Besuch vor 28 Jahren nicht so. Da war ich wohl auch bei weitem fitter (oder die haben es steiler gemacht 🙂 ).

Weiter geht es über eine Ebene, die mit einem Steg aus Eisenbahnschwellen überbrückt ist. Darauf folgt die nächste Steigung – diesmal über ein Geröllfeld, wiederum gefolgt von einer Ebene, die über Holzbalken einfach zu begehen ist. Hier hatten wir damals das Zelt aufgeschlagen und sind morgens kurz vor der Dämmerung los, um den Sonnenaufgang am Preikestolen zu erleben.

Elisabeth ist schon aufgeregt, denn sie hat Höhenangst. Da zweite, heftige, Geröllfeld steht an, macht aber nicht wirklich Probleme. Die Muskeln sind warm und das Brennen lange vorbei. Dann geht es ein kurzes Stück abwärts, bevor wir den großen See erreichen. Malerisch-kitschig wie ein Bob Ross-Gemälde liegt er da, Bäume und Berge spiegeln sich in seiner Dunkelvioletten Oberfläche.

Weiter führt der Weg ein paar Meter hinab, dann über große Granitbuckel. Von links rauscht ein Wasserfall, ein paar Vögel zwitschern – ansonsten ist es still. Ein, zwei Felsbrocken müssen noch umrundet werden, ein kleines Geröllfeld bergab, einige Steine wurden zu schmalen Stufen zusammengelegt. Es folgt eine etwas engere Stelle, die über eine Holzbohlenbrücke samt Geländer gesichert ist. Wenn ich das Geländer hier extra erwähne, dann weil das in Norwegen nicht so selbstverständlich ist wie in Deutschland.

Dann kommen wir an die Kante – sehen hinunter auf den Lysefjord. Hier gibt es kein Geländer, obwohl der Fels hier knapp 600m senkrecht abfällt. Noch 300m sind es bis zum ‚Predigtstuhl‘. Hier ist noch eine enge, ausgesetzte Stelle zu überwinden, die Elisabeth für gefährlich hält, gerade bei schlechtem Wetter. Heute haben wir Kaiserwetter – wie bestellt. Wir nehmen die Hürde und sind wenig später am Ziel. Ungefährt eineinhalb Stunden haben wir gebraucht.

Erst lassen wir den Preikestolen auf uns wirken, dann machen wir die obligatorischen Fotos, bevor wir uns – aus Rücksicht auf die Höhenangst von Elisabeth – in den Riss gesetzt und die Brotzeit ausgepackt haben. Wir sind ganz alleine hier, es ist windstill und es sind auch sonst keine Geräusche zu hören – herrlich!

Später steige ich auf das Plateau hinter der Kanzel, um von da zu fotografieren. Hier war ich damals auch. Rechts von mir der Gipfel – ca. 10 Minuten schätze ich – und rufe Elisabeth zu, dass ich da rauf gehe. Dazu muss ich erstmal die Schlucht rechts des Preikestolen umgehen, Elisabeth kann hier meist Sichtkontakt zu mir halten. Weiter geht es zwischen Felsblöcken. Dabei merke ich dass ich
a) keinen Sichtkontakt mehr habe und
b) dass es zum Gipfel doch weiter ist als gedacht.
Es handelt sich um ein Fjell, einen durch Gletschereis flach geschliffenen Berg. Trotzdem kein Problem, denke ich mir. Wenn ich auch kein Kletterer bin, so bin ich trittsicher und ausdauernd. Immer wieder über hüfthohe Felsstufen und zwischen Felsbrocken durch strebe ich vorwärts, bis ich den Gipfel erreiche. 694m hoch – was für eine Ausblick!
Ich mache ein paar Fotos und lasse die Landschaft auf mich wirken, bevor ich mich auf den Rückweg mache.

Dazu nehme ich nicht den gleichen Weg, sondern suche einen direkten einfacheren. Ein fataler Fehler, denn 15 Minuten später stehe ich an einer ca. 8 Meter hohen Abbruchkante und muss umdrehen – dn Berg wieder hoch. Elisabeth wird sich sorgen, geht es mir durch den Kopf. Mein Handy liegt in der Hytter neben dem Bett. Es halt als Wecker gedient und da habe ich es vergessen. Gleich zwei fatale Fehler!
Endlich zurück bei Elisabeth, entschuldige ich mich für meinen Alleingang. Weit über eine Stunde hat sie auf mich warten müssen.
Ein junger Mann findet sich ein und geht mit seiner Spiegelreflexkamera hin und her, um das Naturschauspiel einzufangen.

Wir machen uns auf den Rückweg. Kurz bevor wir den oberen See erreichen, kommen uns die ersten Leute entgegen. Alle Altersgruppen, alle Nationalitäten. Mit Bergschuhen, Gummistiefeln oder Leinenschühchen. Je weiter wir runter kommen, um so größer werden die Gruppen, die uns begegnen. Elisabeth staunt, hätte es nie für möglich gehalten, dass ich um diese Jahreszeit – außerhalb der Saison – Recht behalten würde. Ich muss derweil an einen Gästebucheintrag in unserer Hytter denken, wo jemand den Preikestolen mit dem Affenfelsen von Gibraltar  verglichen hat. Wir beide sind froh, so früh aufgestanden zu sein und den Preikestolen so lange für uns alleine gehabt zu haben.

Bei der Preikestolenhytta – das Gebäude, was vor 29 Jahren eher einer Jugendherberge ähnelte ist heute ein stattliches Hotel – sind wir dann doch froh, dass wir nicht weiter klettern müssen. Die Knie schmerzen merklich, meiner Meinung nach hauptsächlich wegen dem Kiesweg am Schluss, wo man bergab leicht ins Rutschen kommt.
Wir gönnen uns eine Pause und eine Cola. Dabei komme ich mit einer Frau aus Tschechien ins Gespräch. Sie ist aus beruflichen Gründen hier und möchte nun, nach dem Ende der Tagung, zusammen mit drei jungen Begleitern den Preikestolen bezwingen. Wo es denn hoch gehe, fragt sie mich. Ich zeige es ihr und weise sie darauf hin, dass ihre Schuhe dafür eher ungeeignet sind. Losgelaufen ist sie dennoch.

Auch wir machen uns auf den Weg zurück zur Hytter. 80 NOK will der gierige Automat an der Parkplatzausfahrt, das ist der Großteil unseres Münzgeldes. Es ist noch genug Zeit, einen Schlenker über Jørpeland zu machen. Dort parken wir im Hafen und schauen uns die Stadt an. An sich gibt es nur eine Straße, viel sehenswertes haben wir nicht gefunden. So besuchen wir kurz den örtlichen Supermarkt und treten bald darauf die Rückfahrt an. Diese habe ich dann ein zweites Mal für einen Schlenker über die Lysefjord-Brücke unterbrochen. Als Ersatz für due Fährfahrt wollte ich Elisabeth noch einen Blick von unten auf den Predigtstuhl ermöglichen. Nach der Brücke kommt ein Tunnel, danach geht es rechts ab nach Eidadalen und von da aus über ein kleines Sträßchen nach Fossmork. Von hier aus hat man einen schönen Blick auf den Preikestolen  und den Lysefjord.

Rückwärts folgen wir dem Hinweis zu einem Parkplatz linker Hand den Berg hoch. Hier finden wir einen Brotzeittisch, einen unbeschreiblichen Blick auf die Kanzel und viel Sonne zum Genießen. Danach gehts direkt zur Hytte No 2, wo ich das Abendessen in Angriff nehme. Es gibt Lamm-Beinscheiben mit Bratkartoffeln und Salat. Geschmeckt hat es uns beiden, wir hatten ordentlich Appettit nach der Tour.
Die geplante Tour zum Kjerag morgen werfen wir über Bord. Auf der Karte stellen wir fest, dass zu der 100km langen Anfahrt auch noch zwei Fährfahrten erforderlich sind. Da die Urlaubskasse sowieso schon durch die ein oder andere unplanmäßige Ausgabe gebeutelt ist, heben wir uns das für die nächste Norwegenreise auf. Dem Zeitgewinn geschuldet, bleibt der Wecker für morgen aus.

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