Jürgen geht schon runter, als ich mich unter die Dusche stelle. Das kleine Dachfenster im Bad zeigt ein Stück Himmel und der ist strahlend blau. Das kommt meiner Anfängergruppe sehr entgegen, denn heute geht es zum ersten Mal zur Sache. Bei Regen ist der Untergrund hier an vielen Stellen sehr seifig.
Drunten auf der Terasse sitzt Maren mit einem Becher Kaffee in der Hand, Jürgen sitzt am Lagerfeuerplatz in der Sonne und schreibt in sein Notitzbuch. Offenbar ist er heute mit dem Tagesbericht dran. Mich fasziniert, dass er dafür schin die ersten Notizen macht, bevor er überhault aus dem Bett gestiegen ist. Ich bin schon sehr gespannt auf das Ergebnis und ebenso sicher, dass es ihn selber überraschen wird.
Ich hole mir Tee und Frühstück uns setze mich zu Maren. Nach und nach stößt auch der Rest der Truppe dazu. Das Gespräch dreht sich zwar auch ein wenig um die vergangenen Tage, aber in erster Linie doch eher um das, was heute kommt. Wir sind ja alle schon mal ein wenig Schotter gefahren, heute legen wir da ein paar Schippen drauf. Entsprechend angespannt, nervös und voller Erwartung ist die Gruppe. Wichtig dabei, auch der Spaß kommt dabei nicht zu kurz. Das ist die perfekte Basis für den Tag. Doch bei allem Spaß sollte man die Sicherheit nicht vergessen. Deshalb halte ich nach dem Frühstück ein Briefing. Zuerst erkläre ich die Funktion des SPOT, vor allem, wie man einen Notruf absetzt. Dann hole ich das Kartenmaterial heraus, das wir gestern erhalten haben. Ich zeige dem Team die geplante Tour für heute und ein paar zusätzliche Optionen, falls es wider Erwarten zu einfach ist. Dann zeige ich anhand der Liste der EnduRoMania-Checkpoints, wie man Koordinaten auf die Karte einträgt. Ebenso erkläre ich, wie man mit Hilfe der Koordinaten des Navi seinen Standort auf der Karte bestimmen kann. Auch ein paar Verhaltensmaßregeln für den Kontakt mit den Hirtenhunden.
Dann geht es in den Trockenraum zur Ankleide. So ähnlich muss es im Mittelalter gewesen sein, als die Ritter vor einem Turnier die Rüstungen angezogen haben. Man hilft sich gegenseitig und/oder kommentiert dies und das mit einem lockeren Spruch. Die Motorräder werden aus dem Unterstand geholt und angekickt. Bei Marion übernimmt Jürgen die Starthilfe, nachdem sie es einige Male vergeblich probiert hat, Marens XT bekommt einen Tritt von mir – natürlich auf den Kickstarter. Alle Daumen gehen nach oben, ich fahre los.
Der weg führt uns hinunter an den See, dann rechts auf der (mittlerweile) asphaltierten Transsemenic-Passstraße ein Stück den See entlang. In Gărâna verlassen wir die Straße und biegen in den Ort ein. Wolfsberg, wie der Ort von der deutschstämmigen Bevölkerung genannt wird, ist ein aufstrebendes Dorf, was vor allem von Künstlern besiedelt wird. Wir passieren auch das Haus von Elisabeth Ochsenfeld, die ich letztes Jahr bei einem Künstlertreffen in Timișoara kennengelernt habe. Leider ist sie zur Zeit in Toronto, sonst hätte ich sie gerne mal besucht. Wann immer ich diesen Ort durchfahre, vergleiche ich ihn mit den Bildern aus meinem Kopf von 2006. Damals war es fast eine Geisterstadt mit heruntergekommenen Häusern, heute präsentiert sich ein Haus schmucker als das andere. Auch die Straße ist – zumindest auf 2/3 der Dorfdurchfahrt – asphaltiert. Wo wir von Asphalt auf Schotter wechseln, nehme ich die Geschwindigkeit zurück. Ein wenig Respekt vor den Anwohnern schadet nicht, wenn man nachhaltiges Endurowandern im Sinn hat. Die Anwohner freut es, dass wir nicht so viel Staub aufwirbeln, man grüßt uns freundlich.
Knapp 100 Meter nach dem Ortsausgang biege ich ab auf einen steinigen Hohlweg, der uns in einer S-Kurve auf die Hochebene bringt. Dabei durchfahren wir ein Wäldchen, bevor sich eine Wiese mit einem herrlichen Fernblick öffnet. Ein Sendemast wurde vor ein paar Jahren hier aufgestellt und wirkt ein wenig als Störenfried in diesem Idyll. Weiter geht es in eine Senke, von der aus der Weg wieder leicht ansteigt. Wir erreichern den Waldrand und das erste nennenswerte Schlammloch. Beim ersten Blick darauf hat fast jeder meiner Gruppe ein großes Fragezeichen im Gesicht. Ich kenne die Stelle ziemlich gut, weshalb ich den üblichen Weg, das Loch erstmal zu Fuß zu sondieren, mal außen vor lasse. Stattdessen fahre ich einfach mittendurch. Vorher habe ich die Gruppe gebeten, auf mein Zeichen zu warten. Auf der anderen Seite parke ich die XT und hole die Kamera aus dem Tankrucksack. Einen nach dem Anderen winke ich dann zu und dokumentiere die Durchfahrt mit der Kamera. Mitten durch traut sich keiner von ihnen, obwohl es am Rand zwar flacher, aber dafür sumpfiger ist.
Wir machen eine kurze Pause. Eine Horde KTM-Fahrer kommt von der Seite herangeprescht. Keiner der Helden, die uns mit unseren alten Motorrädern, den ‚falschen‘ Reifen und den Klapphelmen midleidig belächeln, ist durch das Schlammloch gefahren. Dann doch lieber nebenan durch den Wald.
Ein Stück weiter hinten wird sich der Weg in viele Wege auftrennen, das weiß ich von vorangegangenen Besuchen. Die für Rumänien typische Vorgehensweise: Ist ein Weg zu tief ausgefahren oder zu schlammig, dann fährt man einfach ein paar Meter weiter links oder rechts und schafft so einen neuen Weg. Der alte wird sich selbst überlassen. In Deutschland undenkbar, wo man selbst die wegen der Erosion wichtigen Buschraine inzwischen weggepflügt hat.
Ich weise meine Gruppe an, dass jeder sich aus der Vielzahl der Möglichkeiten seinen Weg suchen soll und schicke sie bewusst voraus. Es ist noch ein guter Kilometer bis dahin und offenbar sind die Anweisungen zwischenzeitlich aus dem Gedächtnis geschüttelt. Alle fahren wie eine Gruppe Entenküken in der gleichen Linie hintereinander. Macht nix, dann halt beim nächsten Mal. Ich wähle eine Spur, die gute 50m links vom Rest des Teams verläuft und überhole so die Gruppe, denn es kommt gleich eine Gabelung. Dort wähle ich den Weg nach rechts, der an manchen Stellen gute 30-40cm tief ausgewaschen ist. Ein kleiner Vorgeschmack auf das, was uns heute erwartet.
Dann biegt ein weiterer Weg nach links ab, der uns über einen grasbewachsenen Hügel zum Waldrand bringt. Hier geht es dann über mehrere Kilometer in verschiedenen Hohlwegen bergab. Eine der Schlüsselstellen, wenn es regnet, denn dann wird es hier so schmierig, dass man mit dem TKC80 nur schwer wieder hochkommen würde. Doch heute haben wir Kaiserwetter und annähernd trockenen Untergrund. Perfekt, um zwischen en stehenden Bäumen, über Wurzeln und loses Totholz in die Holwege hinein oder auch wieder heraus zu trailen. Die Gruppe ist hochkonzentriert und macht das perfekt. An einen Sturz kann ich mich hier nicht erinnern. Kurz nachdem wir den tiefsten Punkt erreicht haben, wird es wieder Zeit für eine Pause. Allgemeine Begeisterung strahlt aus den Gesichtern, man sieht aber auch bei Einzelnen die Spuren der Anstrengung. Die heutige Tour ist also auf jeden Fall nicht zu kurz.
Weiter geht es, nun wieder bergan. Bald erreichen wir die von mir angekündigte Schlüsselstelle. Eine ca. 200m lange Auffahrt, die recht steil wird und mit herausstehendem Fels und Wurzelwerk durchaus anspruchsvoll ist. Ich zeige der Gruppe die nach leichteste Spur. Dann fahre ich vor und stelle mich mit dem Motorrad an eine übersichtliche Stelle, um ein paar Handzeichen geben zu können. Rebecca fährt als nächste, kommt mit dem Vorderrad auf einen Felsvorsprung und wird aus der Spur katapultiert. Ich lehne meine XT an einen Baum und komme ihr zu Hilfe. Marion ist die nächste, die ihre DR ablegt. Bis ich unten bin, steht das Motorrad aber schon wieder. Maren hat große Augen, weshalb ich ihr anbiete, das Motorrad hochzufahren. Das nimmt sie auch gerne an. Ich gehe nochmals runter, weil Marion ihre DR nach dem Umfaller nicht ankriegt. Sie bittet mich ebenfalls darum, ihr Motorrad hochzufahren. Was für ein Spaß mit der kleinen handlichen DR. Mit einem kleinen Sprung nehme ich die Kante. Ich hätte meine auch mitnehmen sollen. 🙂
Nachdem ich auch noch meine XT aus halber Höhe hochgefahren habe, geht es nach einer kurzen Pause weiter. Es folgt ein grandioses Stück zum Fahren. Ein hoher, lichter Wald, durch den sich mehrere, kaum sichtbare Wege schlängeln. Man kann Anleger nutzen, man fährt über weichen Waldboden oder Wurzelwerk. Alles haben Spaß und diesmal klappt es auch mit dem Fahren in unterschiedlichen Spuren. Maren übersieht einen (längs in einer Spurrille liegenden) Baumstamm, fährt dran und legt sich ab. Jürgen kommt ihr zu Hilfe. Aber alles in allem fahren alle recht sicher, weshalb ich vorschlage, dass jeder sein Tempo fahren soll. Rebecca brettert los, ich fahre ihr hinterher, um sie rechtzeitig zu stoppen, wo wir abbiegen wollen. Dort warten wir auf die Anderen. Nach mehreren Minuten sind die immer noch nicht da. Ich sage Rebecca, dass sie hier bleiben soll und drehe um. Ein ganzes Stück weiter hinten finde ich sie. Maren wollte offenbar ein Schlammloch umfahren. Dazu musste sie eine Spurrille queren. Beim Verlassen der Spurrille hat sie dann wohl zu viel Gas gegeben und ist über die Spur drüber geschossen. Ein Baum gegenüber hat sie dann aprupt gebremst. Offenbar hatte sie da auch schon ordentlich Schräglage, denn der Baum hat das Motorrad genau am Scheinwerfer getroffen. Der ging dabei zu Bruch, auch die Lampenhalterung hat es verbogen. Aber weder Lenker noch Kotflügel haben etwas abbekommen. Maren meint, dass sie auch im Bereich des Brustbeins aufgeschlagen ist. Dank Protektorenhemd ist aber auch da nichts passiert – das Motorrad kann man wieder richten. Sie hat ein wenig Sorgen, dass es mein Motorrad ist. Ich ‚verspreche‘ ihr, dass ich ihr die Ersatzteile in Rechnung stelle und ansonsten kein Problem damit habe, das entspannt sie dann ein wenig. Wir fahren noch weiter bis zur Gabelung, wo Rebecca auf uns wartet. Dort wird es dann Zeit für eine ausgiebige Pause.
Die Sonne ist schon recht heiß, weshalb wir uns alle unter das Blätterdach zurückziehen. Jürgen holt die kratzenden Knieschoner aus der Hose und macht sie obendrüber fest. Zusammen genießen wir die Stille, die Wärme der Sonne und den Ausblick.
Lindenfeld
Das verlassene Dorf Lindenfeld befindet sich im Banater Bergland, im Semenic-Gebirge, in einem Tal des 798 Meter hohen Bergkammes „Cracu Teiului“ (deutsch Lindenkamm). Nach Lindenfeld führte niemals ein ausgebauter Verkehrsweg. Die Entfernung bis zur nächstgelegenen Ortschaft, Wolfsberg, ist sieben Kilometer und bis zum nächsten Bahnhof sind es 20 Kilometer.
Lindenfeld wurde 1828 von Deutschböhmen zusammen mit Wolfsberg, Weidenthal, Wolfswiese und Weidenheim gegründet. Lindenfeld hatte bis in die 1960er Jahre eine eigene Dorfstruktur mit Schule, Gemeindehaus, eigener Strom- und Wasserversorgung. Letztendlich wanderten die Bewohner nach Caransebeș, Wolfsberg oder Weidenthal ab. (Wikipedia)
Von hier aus geht es wieder bergab. Ich ermuntere meine Begleiter, ohne Motor bergab zu rollen. Zum Einen kann man sich dabei besser auf das Gleichgewicht konzentrieren, weil Kupplung und Gas wegfallen. Zum Anderen nimmt man die Natur, in der wir uns bewegen, viel bewusster war. So rollen wir zuerst einen ausgefahrenen Hohlweg herunter, durchqueren ab und an ein paar Pfützen oder überqueren hervorstehenden Fels. Eine kleine Steilabfahrt bringt uns auf ein kleines Plateau mit einem herrlichen Ausblick über die Banater Berglandschaft. Es folgen ein paar Kehren, dann tauchen wir in den Wald ein. Hier wird der Weg ziemlich anspruchsvoll. Teilweise bis zu zwei Meter tief ist der Hohlweg, tiefe Spurrillen und jede Menge hervorstehender Fels erschwerden die Passage zusätzlich. Kein Wunder, dass auch hier der ein oder andere Strich zur Sturzliste dazukommt. Dann wird es flach und schlammig, wir erreichen die seitliche Ortseinfahrt von Lindenfeld. Wir starten die Motoren. Links und Rechts des Weges beginnen die Zäune der verlassenen Häuser, die heute ab und an als Unterschlupf für vorbeiziehende Schäfer dienen. Ein Hund beobachtet uns argwöhnisch aus sicherer Entfernung. Die Schlammpassagen erfordern nochmal Konzentration, dann spuckt uns der Weg hinaus in die Hauptstraße des Ortes. Diese ist natürlich ungeteert, würde bei uns fastz als Klettersteig durchgehen und kommt von links steil bergab. Wir biegen rechts ein und stellen unsere Motorräder unter einen großen Nussbaum. Pause. Jürgen ist noch voller Elan und begeistert von dem bisher gefahrenen. Deshalb ermuntere ich ihn, doch noch eine Extrarunde zu drehen. Die Hauptstraße bergauf ist für Einsteiger recht anspruchsvoll. Etwas oberhalb des Ortsendes steht ein altes Holzkreuz am Weg, da soll er umdrehen, sage ich. Da muss ich den Jürgen nicht zweimal bitten. Sofort kickt er die DR an und fährt los. Es dauert geraume Zeit, bis er wieder zurück kommt. Das Kreuz ist nicht mehr vorhanden, er ist ein gutes Stück weiter gefahren und dann vorsichtshalber doch umgedreht. Das Ziel habe ich trotzdem erreicht: Ich wollte ihn einfach ein wenig mehr fordern und gleichzeitig damit den Mädels ein wenig mehr Verschnaufpause gönnen. Maren und Rebecca rasten im Schatten, Marion und ich durchstreifen die Geisterhäuser und auch die Kirche für ein paar Fotos.
Als Jürgen zurück kommt, erzähle ich von meinen ersten Besuchen hier. Damals lebte hier noch ein einzelnes Ehepaar, über 80 Jahre alt und dennoch immer neugierig auf uns. Die Kommunikation funktionierte auch ohne ein Wort der fremden Sprache beiderseits. Momente, die sich unauslöschlich in mein Gedächtnis gebrannt haben. Mittlerweile sind beide verstorben. Doch der Ort scheint aus dem Dornröschenschlaf zu erwachen. Bei meinem Besuch vor 2 Jahren wurde der Weg von Poiana hierher mit der Planierraupe breit und flach geschoben. Alte Häuser wurden abgerissen und derzeit stehen zwei Rohbauten im Ort. Hier gibt es weder fließendes Wasser noch Strom. Ich bin gespannt, wie sich das weiter entwickelt. Zwischenzeitlich hat auch Jürgen genug pausiert und – noch viel wichtiger – den Flüssigkeitshaushalt ausgeglichen. Anfangs muss ich meine Mitfahrer bei jeder Pause dran erinnern, zu trinken. Bis Ende der Woche funktioniert das dann automatisch. Aufgrund des Sturzes von Maren hole ich sie in der Formation ab sofort direkt hinter mich. So habe ich sie besser im Blick und kann ein wenig auf ihre Kondition achten. Ich warte, bis alle Kickstartmotoren laufen, dann fahre ich los – Maren folgt mir. Am Ortsende angekommen, stelle ich fest, dass der Rest fehlt. Wir warten ein paar Minuten, dann kommt Jürgen angefahren und informiert mich, dass Rebeccas Motorrad ein Problem hat. Ich fahre mit ihm zurück. Sie hat den Zündschlüssel im ausgeleierten Zündschloss überdreht und bekommt ihn nicht mehr zurück. Mit ein wenig Feingefühl gelingt es mir, den Schlüssel wieder in die richtige Lage zu bringen, so dass wir unsere Fahrt fortsetzen können.
Ein Stück weit folgen wir der geschobenen Piste, dann bieghe ich auf eine Wiese ab, auf der ein kaum sichtbarer Weg einen Hang hoch führt. Von da oben aus hat man einen grandiosen Fernblick, den will ich den Freunden präsentieren. Jürgen kommt als letzter hoch und schmeißt seine DR in eine unscheinbare Kuhle neben mir. Die schwierigen Passagen hinter uns hat er genommen und hier legt er sich hin. Er nimmt es sportlich, posiert für eine Foto auf dem liegenden Motorrad, bevor er es wieder aufstellt.
Normalerweise fahre ich von hier aus eine Steilauffahrt runter. Diesmal nehme ich Rücksicht auf Maren und fahre den Weg zurück, den wir gekommen sind. Wieder auf der Piste, machen wir die Motoren aus und rollen fast lautlos den Berg hinunter. Der Schotterweg schmiegt sich weiter unten an einen Bach, wir passieren ein kleines Gehöft, bevor der Weg in eine Betonstraße einmündet. Hier starten wir die Motoren und fahren weiter nach Poiana.
Ich mag das nun folgende Stück, wo sich das enge Sträßchen durch eine Art Canyon schlängelt. Links steile Hänge und eine lange Steilauffahrt, die ich lange schon nicht mehr gefahren bin. Dann wieder ein Stück durch den Wald – einfach traumhaft.
In Buchin treffen wir auf die DN6, wo ich links abbiege. Das Mittagessen ist lange überfällig. Nach dem Ort kommt der Kreisverkehr der Umgehung von Caransebeș. Wir nehmen die zweite Ausfahrt auf die alte Straße und biegen gleich wieder links ab. Hier gibt es ein Straßenrestaurant, wo ich schön des öfteren eine Rast eingelegt habe. Wir suchen uns einen schattigen Platz draußen, bestellen Essen und Trinken und genießen die gemeinsame Zeit. Wir lassen es uns schmecken und teilen das Brot mit ein paar Straßenhunden, die scheu und hungrig zu uns herüberblicken. Das Leben ist schön – was wir empfinden, geben wir gerne weiter.
Frisch gestärkt machen wir uns auf den Heimweg. Der führt uns zurück auf die DN6 und durch Buchin. Kurz nach Valea Timisului biege ich rechts ab. Über eine Brücke gelangen wir nach Petrosnita, von da aus weiter nach Bucosnita. Danach beginnt eine Schotterstrecke, ich gebe der Gruppe ein Zeichen, dass jeder fahren darf, wie er will. Die Motorräder verteilen sich auf der Piste, jedes zieht eine riesige Staubfahne hinter sich her. Ich bilde hinter Maren das Schlußlicht. In Slatina-Timiș dann wieder runter auf City Limit, wir biegen bei der Gesundheitsstation ein auf den Transsemenic. Am Ortsende gebe ich erneut die Zügel frei und übernehme die Rolle des Besenfahrers. Marion, die ebenso ein Kurvenjunkie ist wie ich, zieht am Gas und prescht davon. Schon gestern, als wir mit dem Auto hier hoch sind, hätte sie am liebsten das Motorrad vom Hänger geholt. Jürgen bleibt ihr auf den Fersen, bzw. an den Stollen. Auch Rebecca ist bald nicht mehr zu sehen. Gut für Maren, deren Kondition langsam nachlässt. Ich sage ihr, sie soll nicht versuchen, dran zu bleiben, sondern lieber darauf achten, die Ideallinie zu fahren. Eine bessere Möglichkeit als hier gibt es kaum.
Am ‚Marterpfahl‘ warten die Anderen wie abgesprochen auf uns. Eine kurze Pause zum Gucken, dann fahren wir zurück zur Unterkunft. Es ist noch früh am Abend, eine kleine Runde geht noch. Vorher setzen wir Maren zu Hause ab und machen uns zu viert nochmal auf für eine kleine Tour. Ich biege links ab, fahre an der alten Schule vorbei und hinten am Ortsende auf einen Feldweg, der alsbald steil den Hang hinauf führt. Auch hier wieder etliche Spurrillen nebeneinander. Zwischendurch passieren wir einen felsigen Hohlweg, der abermals zur Erweiterung der Strichliste führt. Oben geht es ein Stück eben, dann wieder eine vielspurige Auffahrt hoch. Dann führt der Feldweg geradezu zum Schlammloch, das wir heute Morgen zum ersten mal passiert haben. Ich habe fotografiert und bin deshalb der letzte in der Gruppe. So wechsle ich von den Anderen unbemerkt auf einen anderen Weg, der mich direkt an das andere Ende des Schlammlochs bringt. Die Lektion, die ich damit vermitteln möchte ist, dass vorausschauendes Fahren beim Endurowanden nicht bei 50m vor dem Vorderrad aufhört, sondern bis zum Horizont reichen sollte.
Rechts des Weges, den die Anderen fahren geht es in eine Senke, dort wird gerade eine Schafherde in die Ümzäunung für die Nacht getrieben. Die Hunde werden auf uns aufmerksam und kommen herbei. Die Angst vor den Hunden lässt Marion die heute morgen besprochenen Verhaltensmaßregeln vergessen. Hilfesuchend schaut sie sich nach mir um und sieht, dass ich ca. 30m links von ihr fahre – durch einen Graben getrennt. Sie beschließt umzudrehen, um auch auf meinen Weg zu kommen. In der Hektik passiert, was passieren muss: Die DR kippt um. Noch bevor ich wenden kann, hat sie das Motorrad aber schon wieder auf die Räder gestellt und kickt es unter den neugierigen Blicken der Hunde an.
Rebecca und Jürgen wählen den einfacheren Weg und passieren das Schlammloch ein weiteres Mal. Ein Stück weit fahren wir den Weg von heute morgen in der Gegenrichtung, bevor wir rechts abbiegen und am Waldrand entlang nach Südwesten fahren. Ein weiters Mal begegnen wir einem Hirten, der hat aber Kühe dabei und somit auch keinen Hund. Die Spurrillen im Weg werden zunehmend tiefer, immer mehr wassergrfüllte Bereiche sind dazwischen. Die Gruppe versucht wieder und wieder, aus den Spurrillen auf die Mitte des Weges zu wechseln. Ich lehne meine XT an einen Baum und frage mal nach: ‚Was haltet ihr davon, wenn ihr einfach mal in der Spur bleibt und die Schlammlöcher einfach durchfahrt? Es kann nichts passieren, wir sind langsam unterwegs und – sollte einer stecken bleiben – zu viert, um den wieder herauszubekommen‚. Gesagt – getan. Plötzlich ist es viel einfacher, voranzukommen. Die Schlammlöcher mögen bedrohlich aussehen, aber letztendlich beiten sie mehr Sicherheit, weil man nicht abrutschen kann und durch das ‚tiefgergelegte‘ Motorrad auch automatisch längere Beine hat, was vor allem Rebecca zu Gute kommt.
Dann führt der Weg abwärts zu einem Forsthaus, bevor wir wieder auf den Transsemenic gelangen. Die letzten 400m vor dem Forsthaus haben es in sich. Ein extrem ausgewaschener Weg der von sich aus schon mal eineinhalb Meter unterhalb des Geländeniveaus liegt. Darin Spalten mit mehr als einen halben Meter tief. Dort, wo sie Spalten zu eng sind, müssen wir auf einem schmalen Sims zwischen Hang und Spalte fahren. Ab und an müssen wir über eine größere Mulde auch auf die andere Wegseite wechseln. Wo immer es geht, empfehle ich meinen Begleitern, in der Spur zu fahren, denn das ist sicherer als oben. Das das so ist, stellt Rebecca wenig später fest. Sie kommt etwas zu schnell und verpasst den ‚Abstieg‘ in die Spur. Sie fährt ein Stück weiter auf dem Sims, bis ihr das Hinterrad abruscht und – pleng – liegt die XT quer im Hohlweg. Ich brauche meine Maschine nur an die Böschung lehnen, um ihr helfen zu können. Gemeinsam meistern wir auch diese Passage, bevor wir nach links auf den Transsemenic einbiegen und uns über die frisch alsphaltierte Trasse durch viele Kurven nach Hause wiegen.
Dort werden noch gemeinsam die Motorräder gepflegt, bevor wir die Enduroklamotten ausziehen, uns frisch machen und uns dem Abendessen widmen. Die Gruppe, der wir heutze morgen begegnet sind, setzt sich zu uns und kann nicht verstehen, was wir hier wollen. Wir haben die falschen Motorräder, die falschen Reifen für hier, die falschen Helme und auch die falsche Einstellung. ‚Wer so viel auf einmal falsch macht, der macht es eigentlich schon wieder richtig‚, entgegne ich. Ich versuche ihnen klarzumachen, dass wir weder MotoCross- noch Enduroweltmeister werden wollen, das wir vielmehr hier sind, um uns für Fernreisen fit zu machen, und da hat man halt keinen Reifen drauf, der maximal eine Woche hält etc. Ich habe aber das Gefühl, dass das an den Kollegen verpufft.
Dougie kommt angefahren, seine 2Takt-KTM hinten quer an einem Landrover. Wir kennen uns nun schon 9 Jahre, entsprechend herzlich fällt das Wiedersehen aus. Er hat ein paar Kunden hier, die sich (fahrerisch) ordentlich die Kante geben wollen. Und er bewundert meine Konstanz, das ich immer wieder mit Fahranfängern auf alten Moppeds hierher komme und trotzdem durchaus anspruchsvolles mit denen fahre. Zwei Guides, deren Clienten unterschiedlicher kaum sein können, die dennoch jeweils das Genre des Anderen respektieren – unabhängig von Reifen, Helm etc.
Nach dem Abendessen sitzen wir noch lange im Essensraum, bevor wir uns – mal wieder weit nach Mitternacht – in die Zimmer zurückziehen.
Ein weiteres Tagebuch über die Tour findest Du hier – klick –
19 Mai 2015
Dienstag, 19.05.2015 Auf schlechten Wegen nach Lindenfeld
Jürgen geht schon runter, als ich mich unter die Dusche stelle. Das kleine Dachfenster im Bad zeigt ein Stück Himmel und der ist strahlend blau. Das kommt meiner Anfängergruppe sehr entgegen, denn heute geht es zum ersten Mal zur Sache. Bei Regen ist der Untergrund hier an vielen Stellen sehr seifig.
Drunten auf der Terasse sitzt Maren mit einem Becher Kaffee in der Hand, Jürgen sitzt am Lagerfeuerplatz in der Sonne und schreibt in sein Notitzbuch. Offenbar ist er heute mit dem Tagesbericht dran. Mich fasziniert, dass er dafür schin die ersten Notizen macht, bevor er überhault aus dem Bett gestiegen ist. Ich bin schon sehr gespannt auf das Ergebnis und ebenso sicher, dass es ihn selber überraschen wird.
Ich hole mir Tee und Frühstück uns setze mich zu Maren. Nach und nach stößt auch der Rest der Truppe dazu. Das Gespräch dreht sich zwar auch ein wenig um die vergangenen Tage, aber in erster Linie doch eher um das, was heute kommt. Wir sind ja alle schon mal ein wenig Schotter gefahren, heute legen wir da ein paar Schippen drauf. Entsprechend angespannt, nervös und voller Erwartung ist die Gruppe. Wichtig dabei, auch der Spaß kommt dabei nicht zu kurz. Das ist die perfekte Basis für den Tag. Doch bei allem Spaß sollte man die Sicherheit nicht vergessen. Deshalb halte ich nach dem Frühstück ein Briefing. Zuerst erkläre ich die Funktion des SPOT, vor allem, wie man einen Notruf absetzt. Dann hole ich das Kartenmaterial heraus, das wir gestern erhalten haben. Ich zeige dem Team die geplante Tour für heute und ein paar zusätzliche Optionen, falls es wider Erwarten zu einfach ist. Dann zeige ich anhand der Liste der EnduRoMania-Checkpoints, wie man Koordinaten auf die Karte einträgt. Ebenso erkläre ich, wie man mit Hilfe der Koordinaten des Navi seinen Standort auf der Karte bestimmen kann. Auch ein paar Verhaltensmaßregeln für den Kontakt mit den Hirtenhunden.
Dann geht es in den Trockenraum zur Ankleide. So ähnlich muss es im Mittelalter gewesen sein, als die Ritter vor einem Turnier die Rüstungen angezogen haben. Man hilft sich gegenseitig und/oder kommentiert dies und das mit einem lockeren Spruch. Die Motorräder werden aus dem Unterstand geholt und angekickt. Bei Marion übernimmt Jürgen die Starthilfe, nachdem sie es einige Male vergeblich probiert hat, Marens XT bekommt einen Tritt von mir – natürlich auf den Kickstarter. Alle Daumen gehen nach oben, ich fahre los.
Der weg führt uns hinunter an den See, dann rechts auf der (mittlerweile) asphaltierten Transsemenic-Passstraße ein Stück den See entlang. In Gărâna verlassen wir die Straße und biegen in den Ort ein. Wolfsberg, wie der Ort von der deutschstämmigen Bevölkerung genannt wird, ist ein aufstrebendes Dorf, was vor allem von Künstlern besiedelt wird. Wir passieren auch das Haus von Elisabeth Ochsenfeld, die ich letztes Jahr bei einem Künstlertreffen in Timișoara kennengelernt habe. Leider ist sie zur Zeit in Toronto, sonst hätte ich sie gerne mal besucht. Wann immer ich diesen Ort durchfahre, vergleiche ich ihn mit den Bildern aus meinem Kopf von 2006. Damals war es fast eine Geisterstadt mit heruntergekommenen Häusern, heute präsentiert sich ein Haus schmucker als das andere. Auch die Straße ist – zumindest auf 2/3 der Dorfdurchfahrt – asphaltiert. Wo wir von Asphalt auf Schotter wechseln, nehme ich die Geschwindigkeit zurück. Ein wenig Respekt vor den Anwohnern schadet nicht, wenn man nachhaltiges Endurowandern im Sinn hat. Die Anwohner freut es, dass wir nicht so viel Staub aufwirbeln, man grüßt uns freundlich.
Knapp 100 Meter nach dem Ortsausgang biege ich ab auf einen steinigen Hohlweg, der uns in einer S-Kurve auf die Hochebene bringt. Dabei durchfahren wir ein Wäldchen, bevor sich eine Wiese mit einem herrlichen Fernblick öffnet. Ein Sendemast wurde vor ein paar Jahren hier aufgestellt und wirkt ein wenig als Störenfried in diesem Idyll. Weiter geht es in eine Senke, von der aus der Weg wieder leicht ansteigt. Wir erreichern den Waldrand und das erste nennenswerte Schlammloch. Beim ersten Blick darauf hat fast jeder meiner Gruppe ein großes Fragezeichen im Gesicht. Ich kenne die Stelle ziemlich gut, weshalb ich den üblichen Weg, das Loch erstmal zu Fuß zu sondieren, mal außen vor lasse. Stattdessen fahre ich einfach mittendurch. Vorher habe ich die Gruppe gebeten, auf mein Zeichen zu warten. Auf der anderen Seite parke ich die XT und hole die Kamera aus dem Tankrucksack. Einen nach dem Anderen winke ich dann zu und dokumentiere die Durchfahrt mit der Kamera. Mitten durch traut sich keiner von ihnen, obwohl es am Rand zwar flacher, aber dafür sumpfiger ist.
Wir machen eine kurze Pause. Eine Horde KTM-Fahrer kommt von der Seite herangeprescht. Keiner der Helden, die uns mit unseren alten Motorrädern, den ‚falschen‘ Reifen und den Klapphelmen midleidig belächeln, ist durch das Schlammloch gefahren. Dann doch lieber nebenan durch den Wald.
Ein Stück weiter hinten wird sich der Weg in viele Wege auftrennen, das weiß ich von vorangegangenen Besuchen. Die für Rumänien typische Vorgehensweise: Ist ein Weg zu tief ausgefahren oder zu schlammig, dann fährt man einfach ein paar Meter weiter links oder rechts und schafft so einen neuen Weg. Der alte wird sich selbst überlassen. In Deutschland undenkbar, wo man selbst die wegen der Erosion wichtigen Buschraine inzwischen weggepflügt hat.
Ich weise meine Gruppe an, dass jeder sich aus der Vielzahl der Möglichkeiten seinen Weg suchen soll und schicke sie bewusst voraus. Es ist noch ein guter Kilometer bis dahin und offenbar sind die Anweisungen zwischenzeitlich aus dem Gedächtnis geschüttelt. Alle fahren wie eine Gruppe Entenküken in der gleichen Linie hintereinander. Macht nix, dann halt beim nächsten Mal. Ich wähle eine Spur, die gute 50m links vom Rest des Teams verläuft und überhole so die Gruppe, denn es kommt gleich eine Gabelung. Dort wähle ich den Weg nach rechts, der an manchen Stellen gute 30-40cm tief ausgewaschen ist. Ein kleiner Vorgeschmack auf das, was uns heute erwartet.
Dann biegt ein weiterer Weg nach links ab, der uns über einen grasbewachsenen Hügel zum Waldrand bringt. Hier geht es dann über mehrere Kilometer in verschiedenen Hohlwegen bergab. Eine der Schlüsselstellen, wenn es regnet, denn dann wird es hier so schmierig, dass man mit dem TKC80 nur schwer wieder hochkommen würde. Doch heute haben wir Kaiserwetter und annähernd trockenen Untergrund. Perfekt, um zwischen en stehenden Bäumen, über Wurzeln und loses Totholz in die Holwege hinein oder auch wieder heraus zu trailen. Die Gruppe ist hochkonzentriert und macht das perfekt. An einen Sturz kann ich mich hier nicht erinnern. Kurz nachdem wir den tiefsten Punkt erreicht haben, wird es wieder Zeit für eine Pause. Allgemeine Begeisterung strahlt aus den Gesichtern, man sieht aber auch bei Einzelnen die Spuren der Anstrengung. Die heutige Tour ist also auf jeden Fall nicht zu kurz.
Weiter geht es, nun wieder bergan. Bald erreichen wir die von mir angekündigte Schlüsselstelle. Eine ca. 200m lange Auffahrt, die recht steil wird und mit herausstehendem Fels und Wurzelwerk durchaus anspruchsvoll ist. Ich zeige der Gruppe die nach leichteste Spur. Dann fahre ich vor und stelle mich mit dem Motorrad an eine übersichtliche Stelle, um ein paar Handzeichen geben zu können. Rebecca fährt als nächste, kommt mit dem Vorderrad auf einen Felsvorsprung und wird aus der Spur katapultiert. Ich lehne meine XT an einen Baum und komme ihr zu Hilfe. Marion ist die nächste, die ihre DR ablegt. Bis ich unten bin, steht das Motorrad aber schon wieder. Maren hat große Augen, weshalb ich ihr anbiete, das Motorrad hochzufahren. Das nimmt sie auch gerne an. Ich gehe nochmals runter, weil Marion ihre DR nach dem Umfaller nicht ankriegt. Sie bittet mich ebenfalls darum, ihr Motorrad hochzufahren. Was für ein Spaß mit der kleinen handlichen DR. Mit einem kleinen Sprung nehme ich die Kante. Ich hätte meine auch mitnehmen sollen. 🙂
Nachdem ich auch noch meine XT aus halber Höhe hochgefahren habe, geht es nach einer kurzen Pause weiter. Es folgt ein grandioses Stück zum Fahren. Ein hoher, lichter Wald, durch den sich mehrere, kaum sichtbare Wege schlängeln. Man kann Anleger nutzen, man fährt über weichen Waldboden oder Wurzelwerk. Alles haben Spaß und diesmal klappt es auch mit dem Fahren in unterschiedlichen Spuren. Maren übersieht einen (längs in einer Spurrille liegenden) Baumstamm, fährt dran und legt sich ab. Jürgen kommt ihr zu Hilfe. Aber alles in allem fahren alle recht sicher, weshalb ich vorschlage, dass jeder sein Tempo fahren soll. Rebecca brettert los, ich fahre ihr hinterher, um sie rechtzeitig zu stoppen, wo wir abbiegen wollen. Dort warten wir auf die Anderen. Nach mehreren Minuten sind die immer noch nicht da. Ich sage Rebecca, dass sie hier bleiben soll und drehe um. Ein ganzes Stück weiter hinten finde ich sie. Maren wollte offenbar ein Schlammloch umfahren. Dazu musste sie eine Spurrille queren. Beim Verlassen der Spurrille hat sie dann wohl zu viel Gas gegeben und ist über die Spur drüber geschossen. Ein Baum gegenüber hat sie dann aprupt gebremst. Offenbar hatte sie da auch schon ordentlich Schräglage, denn der Baum hat das Motorrad genau am Scheinwerfer getroffen. Der ging dabei zu Bruch, auch die Lampenhalterung hat es verbogen. Aber weder Lenker noch Kotflügel haben etwas abbekommen. Maren meint, dass sie auch im Bereich des Brustbeins aufgeschlagen ist. Dank Protektorenhemd ist aber auch da nichts passiert – das Motorrad kann man wieder richten. Sie hat ein wenig Sorgen, dass es mein Motorrad ist. Ich ‚verspreche‘ ihr, dass ich ihr die Ersatzteile in Rechnung stelle und ansonsten kein Problem damit habe, das entspannt sie dann ein wenig. Wir fahren noch weiter bis zur Gabelung, wo Rebecca auf uns wartet. Dort wird es dann Zeit für eine ausgiebige Pause.
Die Sonne ist schon recht heiß, weshalb wir uns alle unter das Blätterdach zurückziehen. Jürgen holt die kratzenden Knieschoner aus der Hose und macht sie obendrüber fest. Zusammen genießen wir die Stille, die Wärme der Sonne und den Ausblick.
Lindenfeld wurde 1828 von Deutschböhmen zusammen mit Wolfsberg, Weidenthal, Wolfswiese und Weidenheim gegründet. Lindenfeld hatte bis in die 1960er Jahre eine eigene Dorfstruktur mit Schule, Gemeindehaus, eigener Strom- und Wasserversorgung. Letztendlich wanderten die Bewohner nach Caransebeș, Wolfsberg oder Weidenthal ab. (Wikipedia)
Von hier aus geht es wieder bergab. Ich ermuntere meine Begleiter, ohne Motor bergab zu rollen. Zum Einen kann man sich dabei besser auf das Gleichgewicht konzentrieren, weil Kupplung und Gas wegfallen. Zum Anderen nimmt man die Natur, in der wir uns bewegen, viel bewusster war. So rollen wir zuerst einen ausgefahrenen Hohlweg herunter, durchqueren ab und an ein paar Pfützen oder überqueren hervorstehenden Fels. Eine kleine Steilabfahrt bringt uns auf ein kleines Plateau mit einem herrlichen Ausblick über die Banater Berglandschaft. Es folgen ein paar Kehren, dann tauchen wir in den Wald ein. Hier wird der Weg ziemlich anspruchsvoll. Teilweise bis zu zwei Meter tief ist der Hohlweg, tiefe Spurrillen und jede Menge hervorstehender Fels erschwerden die Passage zusätzlich. Kein Wunder, dass auch hier der ein oder andere Strich zur Sturzliste dazukommt. Dann wird es flach und schlammig, wir erreichen die seitliche Ortseinfahrt von Lindenfeld. Wir starten die Motoren. Links und Rechts des Weges beginnen die Zäune der verlassenen Häuser, die heute ab und an als Unterschlupf für vorbeiziehende Schäfer dienen. Ein Hund beobachtet uns argwöhnisch aus sicherer Entfernung. Die Schlammpassagen erfordern nochmal Konzentration, dann spuckt uns der Weg hinaus in die Hauptstraße des Ortes. Diese ist natürlich ungeteert, würde bei uns fastz als Klettersteig durchgehen und kommt von links steil bergab. Wir biegen rechts ein und stellen unsere Motorräder unter einen großen Nussbaum. Pause. Jürgen ist noch voller Elan und begeistert von dem bisher gefahrenen. Deshalb ermuntere ich ihn, doch noch eine Extrarunde zu drehen. Die Hauptstraße bergauf ist für Einsteiger recht anspruchsvoll. Etwas oberhalb des Ortsendes steht ein altes Holzkreuz am Weg, da soll er umdrehen, sage ich. Da muss ich den Jürgen nicht zweimal bitten. Sofort kickt er die DR an und fährt los. Es dauert geraume Zeit, bis er wieder zurück kommt. Das Kreuz ist nicht mehr vorhanden, er ist ein gutes Stück weiter gefahren und dann vorsichtshalber doch umgedreht. Das Ziel habe ich trotzdem erreicht: Ich wollte ihn einfach ein wenig mehr fordern und gleichzeitig damit den Mädels ein wenig mehr Verschnaufpause gönnen. Maren und Rebecca rasten im Schatten, Marion und ich durchstreifen die Geisterhäuser und auch die Kirche für ein paar Fotos.
Als Jürgen zurück kommt, erzähle ich von meinen ersten Besuchen hier. Damals lebte hier noch ein einzelnes Ehepaar, über 80 Jahre alt und dennoch immer neugierig auf uns. Die Kommunikation funktionierte auch ohne ein Wort der fremden Sprache beiderseits. Momente, die sich unauslöschlich in mein Gedächtnis gebrannt haben. Mittlerweile sind beide verstorben. Doch der Ort scheint aus dem Dornröschenschlaf zu erwachen. Bei meinem Besuch vor 2 Jahren wurde der Weg von Poiana hierher mit der Planierraupe breit und flach geschoben. Alte Häuser wurden abgerissen und derzeit stehen zwei Rohbauten im Ort. Hier gibt es weder fließendes Wasser noch Strom. Ich bin gespannt, wie sich das weiter entwickelt. Zwischenzeitlich hat auch Jürgen genug pausiert und – noch viel wichtiger – den Flüssigkeitshaushalt ausgeglichen. Anfangs muss ich meine Mitfahrer bei jeder Pause dran erinnern, zu trinken. Bis Ende der Woche funktioniert das dann automatisch. Aufgrund des Sturzes von Maren hole ich sie in der Formation ab sofort direkt hinter mich. So habe ich sie besser im Blick und kann ein wenig auf ihre Kondition achten. Ich warte, bis alle Kickstartmotoren laufen, dann fahre ich los – Maren folgt mir. Am Ortsende angekommen, stelle ich fest, dass der Rest fehlt. Wir warten ein paar Minuten, dann kommt Jürgen angefahren und informiert mich, dass Rebeccas Motorrad ein Problem hat. Ich fahre mit ihm zurück. Sie hat den Zündschlüssel im ausgeleierten Zündschloss überdreht und bekommt ihn nicht mehr zurück. Mit ein wenig Feingefühl gelingt es mir, den Schlüssel wieder in die richtige Lage zu bringen, so dass wir unsere Fahrt fortsetzen können.
Ein Stück weit folgen wir der geschobenen Piste, dann bieghe ich auf eine Wiese ab, auf der ein kaum sichtbarer Weg einen Hang hoch führt. Von da oben aus hat man einen grandiosen Fernblick, den will ich den Freunden präsentieren. Jürgen kommt als letzter hoch und schmeißt seine DR in eine unscheinbare Kuhle neben mir. Die schwierigen Passagen hinter uns hat er genommen und hier legt er sich hin. Er nimmt es sportlich, posiert für eine Foto auf dem liegenden Motorrad, bevor er es wieder aufstellt.
Normalerweise fahre ich von hier aus eine Steilauffahrt runter. Diesmal nehme ich Rücksicht auf Maren und fahre den Weg zurück, den wir gekommen sind. Wieder auf der Piste, machen wir die Motoren aus und rollen fast lautlos den Berg hinunter. Der Schotterweg schmiegt sich weiter unten an einen Bach, wir passieren ein kleines Gehöft, bevor der Weg in eine Betonstraße einmündet. Hier starten wir die Motoren und fahren weiter nach Poiana.
Ich mag das nun folgende Stück, wo sich das enge Sträßchen durch eine Art Canyon schlängelt. Links steile Hänge und eine lange Steilauffahrt, die ich lange schon nicht mehr gefahren bin. Dann wieder ein Stück durch den Wald – einfach traumhaft.
In Buchin treffen wir auf die DN6, wo ich links abbiege. Das Mittagessen ist lange überfällig. Nach dem Ort kommt der Kreisverkehr der Umgehung von Caransebeș. Wir nehmen die zweite Ausfahrt auf die alte Straße und biegen gleich wieder links ab. Hier gibt es ein Straßenrestaurant, wo ich schön des öfteren eine Rast eingelegt habe. Wir suchen uns einen schattigen Platz draußen, bestellen Essen und Trinken und genießen die gemeinsame Zeit. Wir lassen es uns schmecken und teilen das Brot mit ein paar Straßenhunden, die scheu und hungrig zu uns herüberblicken. Das Leben ist schön – was wir empfinden, geben wir gerne weiter.
Frisch gestärkt machen wir uns auf den Heimweg. Der führt uns zurück auf die DN6 und durch Buchin. Kurz nach Valea Timisului biege ich rechts ab. Über eine Brücke gelangen wir nach Petrosnita, von da aus weiter nach Bucosnita. Danach beginnt eine Schotterstrecke, ich gebe der Gruppe ein Zeichen, dass jeder fahren darf, wie er will. Die Motorräder verteilen sich auf der Piste, jedes zieht eine riesige Staubfahne hinter sich her. Ich bilde hinter Maren das Schlußlicht. In Slatina-Timiș dann wieder runter auf City Limit, wir biegen bei der Gesundheitsstation ein auf den Transsemenic. Am Ortsende gebe ich erneut die Zügel frei und übernehme die Rolle des Besenfahrers. Marion, die ebenso ein Kurvenjunkie ist wie ich, zieht am Gas und prescht davon. Schon gestern, als wir mit dem Auto hier hoch sind, hätte sie am liebsten das Motorrad vom Hänger geholt. Jürgen bleibt ihr auf den Fersen, bzw. an den Stollen. Auch Rebecca ist bald nicht mehr zu sehen. Gut für Maren, deren Kondition langsam nachlässt. Ich sage ihr, sie soll nicht versuchen, dran zu bleiben, sondern lieber darauf achten, die Ideallinie zu fahren. Eine bessere Möglichkeit als hier gibt es kaum.
Am ‚Marterpfahl‘ warten die Anderen wie abgesprochen auf uns. Eine kurze Pause zum Gucken, dann fahren wir zurück zur Unterkunft. Es ist noch früh am Abend, eine kleine Runde geht noch. Vorher setzen wir Maren zu Hause ab und machen uns zu viert nochmal auf für eine kleine Tour. Ich biege links ab, fahre an der alten Schule vorbei und hinten am Ortsende auf einen Feldweg, der alsbald steil den Hang hinauf führt. Auch hier wieder etliche Spurrillen nebeneinander. Zwischendurch passieren wir einen felsigen Hohlweg, der abermals zur Erweiterung der Strichliste führt. Oben geht es ein Stück eben, dann wieder eine vielspurige Auffahrt hoch. Dann führt der Feldweg geradezu zum Schlammloch, das wir heute Morgen zum ersten mal passiert haben. Ich habe fotografiert und bin deshalb der letzte in der Gruppe. So wechsle ich von den Anderen unbemerkt auf einen anderen Weg, der mich direkt an das andere Ende des Schlammlochs bringt. Die Lektion, die ich damit vermitteln möchte ist, dass vorausschauendes Fahren beim Endurowanden nicht bei 50m vor dem Vorderrad aufhört, sondern bis zum Horizont reichen sollte.
Rechts des Weges, den die Anderen fahren geht es in eine Senke, dort wird gerade eine Schafherde in die Ümzäunung für die Nacht getrieben. Die Hunde werden auf uns aufmerksam und kommen herbei. Die Angst vor den Hunden lässt Marion die heute morgen besprochenen Verhaltensmaßregeln vergessen. Hilfesuchend schaut sie sich nach mir um und sieht, dass ich ca. 30m links von ihr fahre – durch einen Graben getrennt. Sie beschließt umzudrehen, um auch auf meinen Weg zu kommen. In der Hektik passiert, was passieren muss: Die DR kippt um. Noch bevor ich wenden kann, hat sie das Motorrad aber schon wieder auf die Räder gestellt und kickt es unter den neugierigen Blicken der Hunde an.
Rebecca und Jürgen wählen den einfacheren Weg und passieren das Schlammloch ein weiteres Mal. Ein Stück weit fahren wir den Weg von heute morgen in der Gegenrichtung, bevor wir rechts abbiegen und am Waldrand entlang nach Südwesten fahren. Ein weiters Mal begegnen wir einem Hirten, der hat aber Kühe dabei und somit auch keinen Hund. Die Spurrillen im Weg werden zunehmend tiefer, immer mehr wassergrfüllte Bereiche sind dazwischen. Die Gruppe versucht wieder und wieder, aus den Spurrillen auf die Mitte des Weges zu wechseln. Ich lehne meine XT an einen Baum und frage mal nach: ‚Was haltet ihr davon, wenn ihr einfach mal in der Spur bleibt und die Schlammlöcher einfach durchfahrt? Es kann nichts passieren, wir sind langsam unterwegs und – sollte einer stecken bleiben – zu viert, um den wieder herauszubekommen‚. Gesagt – getan. Plötzlich ist es viel einfacher, voranzukommen. Die Schlammlöcher mögen bedrohlich aussehen, aber letztendlich beiten sie mehr Sicherheit, weil man nicht abrutschen kann und durch das ‚tiefgergelegte‘ Motorrad auch automatisch längere Beine hat, was vor allem Rebecca zu Gute kommt.
Dann führt der Weg abwärts zu einem Forsthaus, bevor wir wieder auf den Transsemenic gelangen. Die letzten 400m vor dem Forsthaus haben es in sich. Ein extrem ausgewaschener Weg der von sich aus schon mal eineinhalb Meter unterhalb des Geländeniveaus liegt. Darin Spalten mit mehr als einen halben Meter tief. Dort, wo sie Spalten zu eng sind, müssen wir auf einem schmalen Sims zwischen Hang und Spalte fahren. Ab und an müssen wir über eine größere Mulde auch auf die andere Wegseite wechseln. Wo immer es geht, empfehle ich meinen Begleitern, in der Spur zu fahren, denn das ist sicherer als oben. Das das so ist, stellt Rebecca wenig später fest. Sie kommt etwas zu schnell und verpasst den ‚Abstieg‘ in die Spur. Sie fährt ein Stück weiter auf dem Sims, bis ihr das Hinterrad abruscht und – pleng – liegt die XT quer im Hohlweg. Ich brauche meine Maschine nur an die Böschung lehnen, um ihr helfen zu können. Gemeinsam meistern wir auch diese Passage, bevor wir nach links auf den Transsemenic einbiegen und uns über die frisch alsphaltierte Trasse durch viele Kurven nach Hause wiegen.
Dort werden noch gemeinsam die Motorräder gepflegt, bevor wir die Enduroklamotten ausziehen, uns frisch machen und uns dem Abendessen widmen. Die Gruppe, der wir heutze morgen begegnet sind, setzt sich zu uns und kann nicht verstehen, was wir hier wollen. Wir haben die falschen Motorräder, die falschen Reifen für hier, die falschen Helme und auch die falsche Einstellung. ‚Wer so viel auf einmal falsch macht, der macht es eigentlich schon wieder richtig‚, entgegne ich. Ich versuche ihnen klarzumachen, dass wir weder MotoCross- noch Enduroweltmeister werden wollen, das wir vielmehr hier sind, um uns für Fernreisen fit zu machen, und da hat man halt keinen Reifen drauf, der maximal eine Woche hält etc. Ich habe aber das Gefühl, dass das an den Kollegen verpufft.
Dougie kommt angefahren, seine 2Takt-KTM hinten quer an einem Landrover. Wir kennen uns nun schon 9 Jahre, entsprechend herzlich fällt das Wiedersehen aus. Er hat ein paar Kunden hier, die sich (fahrerisch) ordentlich die Kante geben wollen. Und er bewundert meine Konstanz, das ich immer wieder mit Fahranfängern auf alten Moppeds hierher komme und trotzdem durchaus anspruchsvolles mit denen fahre. Zwei Guides, deren Clienten unterschiedlicher kaum sein können, die dennoch jeweils das Genre des Anderen respektieren – unabhängig von Reifen, Helm etc.
Nach dem Abendessen sitzen wir noch lange im Essensraum, bevor wir uns – mal wieder weit nach Mitternacht – in die Zimmer zurückziehen.
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